Dezember 2020

Melanie, 37

Mein ganzes Leben drehte sich immer nur um das dicke, hässliche Mädchen. Hänseleien, Ausgrenzung und Demütigungen waren an der Tagesordnung.

Mit zwölf Jahren begann ich mit den ersten Diäten, ich glaube es gibt nichts, was ich nicht versucht habe. Immer wieder die gleiche Prozedur, eine super Abnahme und dann ein riesiger Jo-Jo Effekt. Unzufriedenheit, Hass auf sich selbst und seinen Körper, soziale Isolation, Scham sich nur auf einen Kaffee in eine Eisdiele zu setzten. Der Organismus und Stoffwechsel wurden immer schlechter, keine Lust an Bewegung oder Unternehmungen. Hinzu kahm 2007 eine Teils angeborene und durch Vorerkrankungen verursachte Lymph-, und Lipödem Erkrankung an beiden Beinen und Armen. Täglicher Pflegeaufwand von über 2 Stunden, Schmerzen, Kontaktempfindlichkeit der Haut, Lymphdrainage, tragen von Kompressionshilfen, Arzt-, und Klinikaufenthalte gehörten ab jetzt zum Alltag. 2011 kahm durch zu viele Diäten die Retourkutsche meines Körpers, nach über 10 Jahren Behandlung auf Rückenschmerzen wegen zu hohem Übergewicht stellte ein Arzt zufällig fest, dass es sich nicht um den Rücken, sondern die Gallenblase handelt. Sie wurde mir dann mit über 60 Gallensteinen entfernt. Ab diesem Zeitpunkt ging kein Gramm mehr runter, egal was ich auch versuchte. Im April 2013 hörte ich das erste Mal bei einem Reha Aufenthalt von der Möglichkeit einer Magenband OP. Jedoch erklärte mir dies der Arzt sehr einfühlsam, indem er meinte ich sei zu fett und wenn ich das nicht machen würde sitze ich in zwei Jahren eh nicht mehr hier.

Solche Aussagen von Ärzten war ich zu diesem Zeitpunkt schon mehr als gewöhnt, jedoch ging mir das alles zu schnell und ich verlor den Gedanken an diese OP wieder. Durch immer mehr zugetragene Geschichten und Unterhaltung, Weiterentwicklung in der Medizin, weiteren Schicksalsschlägen in meinem Umfeld und Erfahrungsberichte von Bekannten fasste ich Anfang 2018 den Entschluss und machte im Klinikum Garmisch-Partenkirchen in der Viszeralchirurgie einen Gesprächstermin aus. Ich wusste mir sonst keinen Ausweg mehr. Die täglichen Schmerzen wurden immer schlimmer, die aktuelle Kompression reichte nicht mehr aus, ich könnte kein Gewicht reduzieren egal was ich auch versuchte, es war kein Stoffwechsel und auch kein Hormonhaushalt mehr vorhanden, hoher Puls und Blutdruck, Atembeschwerden und psychische Belastung. Ich war an einem Punkt angekommen, bei dem ich allein nie weitergekommen wäre.

Im Juli 2018 hatte ich dann meinen ersten Termin. Das erste Mal in meinem Leben wurde ich von einem Arzt ernst genommen, mir wurde zugehört und ich wurde mit Respekt behandelt. Ich fühlte mich sofort verstanden und gut aufgehoben. Mir wurden die verschiedenen Möglichkeiten der OPs und alternativen Abnahmeprogramme erklärt und der Kontakt zur Selbsthilfegruppe hergestellt. Nach Bedenkzeit und weiterer Informationssammlung meinerseits entschloss ich mich für den weg der Schlauchmagen OP. Es war ein engmaschiges Programm zwischen Ärzten, Ernährungsberatung, Psychologen und Selbsthilfegruppe indem man sorgfältig auf das Leben 2.0 vorbereitet wurde. Nach Abschluss aller Untersuchungen und Teilnahme an erforderlichen Sitzungen wurde im März 2019 der Antrag für die OP bei der Krankenkasse gestellt. Schon im April 2019 bekam ich die Zusage und im Juli 2019 wurde ich operiert. Es gab kein zurück mehr, trotz mulmigem Gefühl und etwas Angst wusste ich, es ist meine Chance und ich bin den manchmal doch holprigen Weg das vergangene Jahr nicht grundlos gegangen. Die OP verlief gut und war in ca. 4 Stunden vorbei, durch die Methode mit dem Endoskop entstanden 5 kleine Schnitte am Bauch. Die Betreuung des gesamtem Teams im Klinikum Garmisch-Partenkirchen war super, die erste Nacht verbrachte ich zur Beobachtung auf der IMC und kam dann auf Normalstation. Es gab viel Tee und Brühe aber nur mit einem Teelöffel als Werkzeug, doch es ging mir gut. Ich war sofort mobil und fühlte mich fit.

Nach abarbeiten eines erstellten Ernährungsplan wird langsam wieder begonnen feste Nahrung zu sich zu nehmen. So vier bis fünf ausgewogene Mahlzeiten am Tag und gute 1,5 Liter Flüssigkeit sind ein gutes Ziel. Jeder Mensch und Organismus reagiert anders und jeder einzelne muss seinen Weg finden. Mit Ruhe und versuchen die Signale seines Körpers wahr zu nehmen und zu erkennen funktioniert das am besten.

Mein Kreislauf wollte nicht so in Schwung kommen, etwas Probleme mit dem Stuhlgang und ich kenne seit der OP das Gefühl Sodbrennen. Das mit dem Kreislauf spielte sich nach ca. 3 Wochen von selbst ein, mit dem Stuhlgang kämpfe ich auch noch heute ab und zu und das Sodbrennen habe ich mit alternativ Medizin und Kaugummi kauen ganz gut im Griff. Um dem Körper an die Umstellung zu gewöhnen und sich auch selbst mit der neuen Situation zurecht zu finden war ich nach der OP drei Wochen zuhause. Die Zeit hat gutgetan und habe ich auch gebraucht. Danach ging es normal in den Alltag zurück und ich kann mich nicht erinnern, dass etwas nicht funktioniert hätte. Es gab nach wie vor engmaschige Nachkontrollen der Ärzte, Ernährungsberatung, Psychologen und Selbsthilfegruppe in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt. Egal was einem auf dem Herzen liegt, ein Anruf genügt und es wird einem auch wirklich geholfen.

Wenn ich zurück schaue muss ich lachen, wichtig war ja der Kaffee, meine Phasen auf salziges und Essig haltige Lebensmittel, das Austesten ob der Döner und Burger noch so schmeckt wie früher, die ersten Erfahrungen bei Geburtstagsfeiern im Restaurant, oder wie reagiere ich jetzt wohl auf Alkohol. Aber ich habe es alles überstanden, habe es ausprobiert und herausgefunden was für mich passt und gut ist. Ich schmecke viel intensiver und genussvoller, esse weniger Fleisch, dafür mehr Jogurt, Obst und Gemüse. Ich habe keinen Heißhunger mehr auf süßes und die Angst das der Jo-Jo Effekt kommt, wenn ich mir was gönne wird weniger. Ich kann mich wieder im Spiegel betrachten, habe weniger Scheu raus zu gehen und kann ganz normal Klamotten in einem Geschäft kaufen. Mir machen sportliche Aktivitäten wie Schwimmen, Yoga, Spazieren wieder Freude und ich habe mir sogar ein kleines Finess Studio im Keller eingerichtet das ich gerne nutze.    

Heute knappe 11/2 Jahre nach der Schlauchmagen OP bin ich einfach nur glücklich. Es ist ein neues Leben und es hat sich gelohnt zu kämpfen. Meine Blutwerte habe sich verbessert, ich bin agiler, beweglich, habe weniger Schmerzen, das Lymph-, und Lipödem hat sich verbessert, es sind knappe 40kg und 10 Kleidergrößen gepurzelt und ich genieße viel mehr das Essen und das Leben.  


Datenschutzerklärung


https://www.shg-adipositas-werdenfels.de/apps/privacy https://www.shg-adipositas-werdenfels.de/apps/imprint